„Die Ansprüche, die man an sich stellt, müssen human bleiben.”

Interview mit Dr. Matthia Quellmelz-Gries.

Matthia, du bist Teammanager Talent Development & Employer Branding Strategy bei DKV Mobility. Kannst du uns kurz deine konkreten Aufgabenbereiche beschreiben?

Ich bin seit knapp 3 ½ Jahren bei DKV Mobility und durfte dort den Bereich Talent Development und Employer Branding Strategy aufbauen. Das umfasst das Thema Learning Offer, also sämtliche Weiterbildungsangebote, Entwicklungsprogramme, aber auch die betriebliche Ausbildung. Wir steuern das Gesundheitsmanagement sowie alle Employer Branding Aktivitäten. Wir vermarkten HR-seitig unseren Arbeitgeber, indem wir beispielsweise unsere Social Media Roadmap steuern, Content für Instagram und LinkedIn erstellen usw. Dabei motivieren wir auch unsere Mitarbeiter:innen sich aktiv zu beteiligen.

Du hast in Psychologie promoviert und warst danach u.a. selbstständig. Wie kam es zu der Selbstständigkeit?

Ich war an der TU Dortmund mit zwei 50%Stellen beschäftigt. Zur einen Hälfte am Institut für Psychologie mit psychologischer Forschung, Lehre und Verwaltung und zur anderen Hälfte in der Personalentwicklung. Promoviert habe ich in meiner Freizeit. Die Selbstständigkeit hat sich aus dieser Promotion ergeben, weil ich Trainings für Führungskräfte der Feuerwehr anbot. Das spielte sich im Kontext der Arbeits- und Notfallpsychologie ab und daraus ergaben sich weitere Anfragen. Ich habe u.a. mit Schulpsychologen zusammengearbeitet und Unternehmen beraten, die Kriseninterventionsthemen hatten.

Bei DKV Mobility spielt New Work eine wichtige Rolle.  Wie funktioniert die Ausgestaltung in der Praxis?

New Work ist ein großes Wort und wir treiben die Themen dahinter gemeinschaftlich als HR Leitungsteam an, jeder in seinen Schwerpunkten. Denn Digitalisierung und Globalisierung sind Themen, die uns alle in unseren Projekten begleiten, weil DKV Mobility schnell wächst und sich in einem Transformationsprozess befindet. Vor meiner Elternzeit durfte ich in der Planungsphase unser HR Lab begleiten. Das ist ein Testfläche, wo wir u.a. kollaboratives Arbeiten fördern. Dafür wurden neue Möbel angeschafft und Kollaborationskonzepte für hybrides Arbeiten entwickelt. Anhand von QR Codes evaluieren die Nutzer die Umgebung und diese Erkenntnisse werden für unseren Neubau verwendet, der gerade entsteht. Die Testfläche besteht zu 60% aus Arbeitsplätzen und zu 40% aus Rückzugsräumen. Parallel sind wir in einer Testphase für ein neues Arbeitszeitmodell.

Seit meiner Rückkehr aus der Elternzeit liegt mein Schwerpunkt auf New Learning. Wir richten unser Learning & Development noch mehr auf die Bedürfnisse der MA aus, weil wir glauben, dass unsere Talente sich eigenverantwortlich entwickeln möchten. Dabei setzen wir auf learning on the job, digitale Angebote aber auch auf Content, der von Mitarbeitern für Mitarbeiter entwickelt wird.

Sind Diversität und Chancengleichheit Themen, die im Unternehmen bereits groß geschrieben werden?

Seit Beginn des letzten Jahres hat das Thema Diversity bei uns noch mehr an Bedeutung gewonnen. DKV Mopbility hat sich messbare Zielen gesetzt, als Unternehmen diverser zu werden. Den Anteil von Frauen in Führungspositionen möchten wir auf 40% bis 2030 steigern. Dafür setzen die Kolleg:innen vor allem bei unserem Recruitingprozess an, um einen besseren Bewerber:innenpool intern und extern aufzubauen. Wir überarbeiten gerade das Wording unserer Stellenanzeigen. Als Gamechanger erhoffen wir uns aber, dass wir standardmäßig alle zu besetzenden Stellen (inkl. Führungspositionen) als „Teilzeit / Vollzeit” ausgeschrieben haben. Es handelt sich dabei um vollzeitnahe Teilzeit mit einem Minimum von 30 Stunden/Woche. Das ist nicht nur für Frauen interessant, denn Gender Diversität bedeutet auch, dass wir es mehr Männern ermöglichen, mit Selbstverständlichkeit eine andere Rolle zuhause einzunehmen. Gerade wir als Familienunternehmen haben den Raum dazu, mehr Vereinbarkeit anzubieten.

Du hast einen kleinen Sohn. Wie lange warst du in Elternzeit?

Ich habe sieben Monate Elternzeit genommen. Im Anschluss war mein Mann 7 Monate in Elternzeit, hat aber 10 Stunden in Teilzeit gearbeitet, weil auch er eine Führungsposition hat. Währenddessen habe ich 30 Stunden gearbeitet. Die Rahmenbedingungen von Corona halfen uns in dem Fall sehr, weil wir beide viel zuhause gewesen sind.

Hast du im Vorfeld bereits mit deinem Arbeitgeber ein Modell ausarbeiten können, wie es nach der Elternzeit weiter gehen wird?

Ich habe vor dem Mutterschutz meine Erwartung klar geäußert, in meiner jetzigen Position bleiben zu wollen. Einige Wochen vor meiner Rückkehr traf ich mich mit meiner Chefin, um meinen Wiedereinstieg zu planen. Sie hat mir angeboten so zu beginnen, wie ich es brauche. In verschiedenen Teilzeitmodellen oder auch in einer anderen Funktion.

Toll, dass dein Arbeitgeber dich bei deinem Einstieg so unterstützt hat. Wie sah es in deinem Umfeld aus?

Es fing eigentlich schon damit an, dass ich schwanger geworden bin. Da ich meinen Kinderwunsch nie groß zum Thema gemacht habe, sorgte meine Schwangerschaft für teils irritierte Reaktionen. Weitere folgten, als ich erklärte, nach 7 Monaten Elternzeit wieder arbeiten zu wollen. Die Vorwürfe gingen zum einen in die Richtung, dass ich etwas in der Mutterschaft verpasse, mein Kind MICH und nicht den Vater brauchen würde, und zum anderen mein Mann eine „richtige“ Elternzeit gar nicht leisten könnte.

Ich habe wenig Verständnis dafür, dass mit zweierlei Maß gemessen wird: Zwei tun das Gleiche; der eine wird gelobt und auf den Sockel gestellt und der andere schräg angesehen.

Du arbeitest mittlerweile wieder Vollzeit. Wie organisiert ihr euch zu Hause?

Vollzeit bedeutet bei mir 38,5 Stunden, die ich mir weitgehend flexibel einteilen kann. Mich hat die vollzeitnahe Teilzeit eher gestresst. Ich habe den Feierabend stets als „harten Anschlag“ erlebt. Lieber arbeite ich -wenn nötig- abends nochmal eine Stunde.

Unser Sohn ist bei einer Tagesmutter und wir haben beide die Möglichkeit, einige Tage in der Woche von zuhause zu arbeiten. Wir holen den Kleinen in der Regel antizyklisch ab. d.h., einer bringt und der andere holt. So können wir im Team gut planen. Jeder von uns hat dadurch jeden zweiten Nachmittag das Kind und somit Quality Time mit ihm. In der Zeit wird auch kein Haushalt gemacht, z.B. geputzt oder Wäsche gewaschen.

Welche Regelungen gibt es mit dem Team bezüglich deiner Erreichbarkeit?

Meine Mitarbeiter arbeiten sehr selbstständig. Mein Führungsverständnis ist: ich weiß, dass ich ein gutes Team habe, wenn es „mich nicht braucht.“

Natürlich bin ich immer privat erreichbar, wenn es mal brennt. Da gegenseitiges Vertrauen im Team herrscht, funktioniert das gut. Auch umgekehrt gilt, wenn Teammitglieder beispielsweise sagen, sie brauchen heute eine längere Mittagspause, weil es ihnen nicht gut geht, dann bekommen sie die natürlich auch.

Welche Vereinbarungen habt ihr zu Hause getroffen? Übernimmt dein Mann auch einen Teil der Care-Arbeit?

Die Frage allein irritiert mich, weil sie unterstellt, dass mein Mann nur zuarbeitet. Wir führen eine gleichwertige Partnerschaft. Das war schon vor dem Kind so und ist auch mit dem Kind geblieben. Das fängt beim Wickeln an und wir wechseln uns auch in den Nächten ab.

Ich bin auch sehr dankbar, dass mein Mann mit unserem Sohn diverse Kurse und auch die Eingewöhnung bei der Tagesmutter gemacht hat. Da hat er eine Menge erlebt. Meistens war er der einzige Mann und wurde beispielsweise gefragt, ob er Hilfe beim Wickeln braucht.

Unser Sohn macht kein Unterschied wer für ihn da ist, wer ihn ins Bett bringt und wer ihn betreut, wenn er krank ist. Es ist doch schön, wenn die Kinder die Wahl haben. Mein Mann macht viele Dinge oft ganz anders als ich, das musste ich aushalten lernen.

Ich reagiere auch sehr allergisch auf den Satz: „Du kannst ja so froh sein, dass dich dein Mann unterstützt!“ Natürlich bin ich dankbar für meinen Mann und dass wir diese Partnerschaft so führen. Aber ich muss doch nicht dankbar sein. Es ist doch auch sein Kind und ganz selbstverständlich, dass er seinen Part übernimmt!

Was würdest du anderen Frauen empfehlen, die Kind und Karriere vereinen möchten?

Sucht euch den richtigen Partner aus! (lacht) Der Partner muss mitziehen und ein ähnliches Mindset haben, sonst wird es schwierig.

Man kann auch nicht immer alle Rollen perfekt erfüllen, perfekte Mutter, perfekte Arbeitnehmerin, perfekte Ehefrau. Wichtig ist auch, sich Hilfe im Haushalt und in der Kinderbetreuung zu holen, um mal andere Rollen ausleben zu können. Wenn es mir als Mutter gut geht, fühlt sich auch mein Kind wohl.

Vor allem aber auch: Konkret äußern, wie man sich den beruflichen Weg vorstellt und keinen Raum für Spekulationen lassen („Du brauchst bestimmt erst mal ein Jahr nach der Elternzeit, um wieder reinzukommen..“).

Die Ansprüche, die man an sich stellt, müssen human bleiben. Es muss nicht immer alles perfekt sein – weder die Power Point Präsentation, noch die Küche.

Wenn du Familienministerin wärst, was würdest du ändern?

Ich begrüße den aktuellen Beschluss der Regierung Vätern für zwei Wochen Vaterschaftsurlaub zu gewähren, es braucht aber mehr oder andere Anreize für „echte“ Elternzeit – 1-2 Monate verleiten dazu gemeinsam einen schönen Urlaub zu machen, die Väter erleben aber keinen echten Alltag mit den Kindern oder tragen in der Regel auch nicht die volle Verantwortung.

Auch muss die Teilzeit in Elternzeit-Regelung überarbeitet werden – die Summe aus zwei Eltern machen Teilzeit in Elternzeit ist oftmals kleiner, als wenn einer voll zu Hause bleibt – das setzt falsche Anreize. In unserem Modell haben wir –(mein Mann mit 10 Stunden/Woche und ich mit 10 Std Woche weniger) draufgezahlt, heißt wir haben streng genommen dafür bezahlt, dass mein Mann arbeiten konnte.

Ein weiterer Fokus wäre auch das Gender Pay Gap, das auch entsteht durch die finanziellen Einbußen vor allem für die Frauen nach der Geburt eines Kindes – nicht nur durch Gehaltsausfall, sondern auch durch wegfallende Beförderungen und Gehaltserhöhungen, ungünstige Bonusregelungen etc.